Mittwoch, 27. März 2024

Wir sind Stümmeldeutsch!

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„Wir sind Papst!“ – „Wer kann Kanzler?“ – „So geht Sofa!“ – „Werden Sie Hafencity!“ – Seit Jahren stilisieren Werbung und Medien ein künstliches Stümmeldeutsch zu einer Modeform, die im alltäglichen Leben von niemandem gewollt, gebraucht oder praktiziert wird.

In meinem Briefkasten finde ich den Prospekt eines Möbelhauses, aus dem es mir grell entgegenschreit: „So geht größer! So geht günstiger!“– Als der Prospekt wenige Augenblicke später  schwungvoll im Altpapiercontainer landet, rufe ich ihm nach: „Und so geht weg!“

Im Supermarkt fällt mein Blick auf eine Werbung, die mir verrät: „Wir sind Supermarktwerbung!“ Ich verstehe zwar nicht, was ich als Kunde in einem Supermarkt mit einer Werbung für eine Werbeagentur für Supermarktwerbung anfangen soll, aber ich muss schließlich nicht alles verstehen. Vom fraglichen Effekt dieser Werbung einmal abgesehen, fällt mir natürlich der interessante Satzbau auf. Nicht „Wir machen Supermarktwerbung“ oder „Wir verstehen uns auf Supermarktwerbung“ heißt es dort, sondern „Wir sind Supermarktwerbung“. Das lässt einen an die „Bild“-Zeitung denken. Mit der Überschrift „Wir sind Papst!“ hatte das Blatt im Jahr 2005 für Aufsehen gesorgt. Das fanden damals viele schrecklich, andere hielten es für genial, in jedem Fall war der „Bild“ damit ein Coup gelungen, mit dem sie Sprachgeschichte schrieb. Man kannte bis dahin nur grammatisch stimmige Parolen wie „Wir sind Weltmeister“ oder „Wir sind das Volk“. Dass 80 Millionen Deutsche gleichzeitig das Amt des Oberhauptes der katholischen Kirche ausfüllen sollten, schien im Widerspruch zu allen Gesetzen der Logik und Physik zu stehen. Wenigstens aber war es ein grammatischer Regelverstoß.

In der Werbung sind Verstöße gegen die Regel an der Tagesordnung, denn schließlich ist es das Ziel aller Werbung, Aufmerksamkeit zu erregen. Und das funktioniert bekanntlich am besten, indem man aus der Reihe tanzt. „Wir sind Supermarktwerbung“ ist allerdings kein Aus-der-Reihe-Tanzen mehr, sondern eher ein Mit-der-Mode-Gehen. Denn seit die „Bild“-Zeitung uns alle zum Papst erklärt hat, wurde dieses „Wir sind …“-Muster so oft kopiert, zitiert, auch parodiert und persifliert, dass der Originalitätsbonus inzwischen restlos aufgebraucht sein dürfte.

Den „Wir sind …“-Kampagnen folgten andere mit ähnlich angegriffener Syntax: In einem „Spiegel“-Interview im April 2007 stellte der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck über seinen Parteikollegen Kurt Beck fest: „Ich sage Ihnen, der kann Kanzler!“ Kurt Beck wurde dann zwar nicht einmal Kanzlerkandidat, dafür wurde das „kann Kanzler“ zum geflügelten Wort. 2009 lief im ZDF sogar eine mehrteilige politische Talentshow mit dem Titel „Ich kann Kanzler!“. Auch hier erregte der extravagante Satzbau den Unmut zahlreicher Zuschauer. „Bei einer Show namens ,Ich kann Deutsch‘ wären die ZDF-Macher wohl eher durchgefallen“, spottete ein Kritiker. Doch das „Kanzlerkönnen“ war nicht mehr aufzuhalten. Bis heute fand die griffige Formulierung unzählige Nachahmer. „Wer kann Kanzler?“, fragte „Spiegel Online“ im Wahljahr 2009, wiederholte die Frage 2011: „Wer ,kann Kanzler‘ in der SPD?“ und fragte auch 2015 noch: „Kann Scholz Kanzler?“

Und natürlich lautet die Frage längst nicht nur, wer „Kanzler kann“. Das Muster wurde unzählige Male kopiert und auf alles Mögliche angewandt: „Wer kann Bundespräsident?“, „Wer kann Angela?“, „Wer kann ,Wetten dass ..?‘“ sind nur ein paar Beispiele aus der deutschsprachigen Presse der vergangenen fünf Jahre.

„Wer kann KTG?“, fragte „Spiegel Online“ im März 2011, und man brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es um die Nachfolge Karl-Theodor zu Guttenbergs ging.

Nachdenklich stimmt einen die Tatsache, dass dieses knallige „Kann Kanzler“-Deutsch zwar immer wieder lustvoll von den Medien aufgegriffen wird, im allgemeinen Sprachgebrauch aber keinen Platz zu haben scheint. Oder bewerben sich Medizinstudenten heute bereits mit den Worten: „Ich kann Arzt!“, versichern verliebte Männer ihren Angebeteten romantisch: „Ich kann Ehemann!“?

Die Medien schaffen sich ihr eigenes bonbonfarbenes Proll-toll-Deutsch, scheinbar dem Volk vom Munde abgeschaut, in Wahrheit alles andere als authentisch, sondern künstlich aufgequirlt. Von der „Bild“-Zeitung ist man nichts anderes gewohnt – von anderen darf man etwas mehr Stilbewusstsein erwarten.

Das Experimentieren mit der Sprache ist ein Grundrecht der Werbung. Dazu gehören Wortspielereien, Sinnverdrehungen und eben auch die Erschaffung syntaktisch verkümmerter Aussagen wie „So geht lecker“, „So muss Technik“ und „So gehört Urlaub“. Die Medien indes sind der Sprache in anderer Weise verpflichtet. Zumindest waren sie es einmal. Nämlich nicht als unermüdliche Wiederkäuer vermeintlich frech-witziger Phrasen aus dem Werbejargon, sondern als Vorbild für eine klare, schnörkellose, unverschwurbelte Sprache, die nicht irgendwelche Moden aufgreift, sondern zeitlos ist. Denn jedes Imitieren einer sprachlichen Mode ist nichts anderes als eine Form der Anbiederung. Und Anbiederung ist das Gegenteil von Souveränität.

Ein heißer Tag im August. Vier Stunden lang haben die Möbelpacker im Schweiße ihres Angesichts Tische, Stühle und Kartons aus meinem Büro am Sandtorkai geschleppt und verladen. Gegen Mittag setzt sich der Transporter in Bewegung. Nach fünf Jahren verlasse ich die Hamburger Hafencity, um nach Niendorf zu ziehen, ein beschauliches Fischerdorf an der Lübecker Bucht. Ich werfe einen letzten Blick auf die stolzen Neubauten der Hafencity. „Werden Sie Kaiserkai!“, steht auf einem breiten Transparent, das an der Fassade eines kürzlich fertiggestellten Wohnhauses hängt. Nicht mehr nötig, denke ich bei mir. Ich war fünf Jahre lang Sandtorkai. Jetzt werde ich Ostsee.


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22 Kommentare

  1. Tobi Findmeister

    Eine knackige Kolumne! Pointiert, witzig und klug. Macht Spaß zu lesen und sollte in allen Redaktionen verbreitet werden. Ich schick sie gleich mal ein paar befreundeten Journalisten zu, auch auf die Gefahr hin, dass wir anschließend nicht mehr befreundet sind 😉

    Der Tobi

  2. Zu den sprachlichen Ausfällen gehört auch ein Werbeslogan einer Spirituosenfirma in den 50er Jahren:
    Von allen Plakatsäulen tönte es: „…hilft dem Vater auf das Farad.“
    Ich dachte erst wirklich, es handele sich um einen versehentlichen Fehler, bis ich begriff, dass es hier wieder mal nur darum ging, Aufsehen zu erregen. Was ja auch gelungen war.

  3. Hier in den Niederlanden ist „Holperniederländisch“ auch in den letzten Jahren modern geworden. (het koningslied: „De dag die je wist dat zou komen is eindelijk hier“ oder „samen uit je bol gaan „, um nur 2 Beispiele zu nennen).
    Ich vermute daher, dass es sich um ein allgemeineres, nicht allein deutsch-spezifisches Phänomen handelt.

    • Das Holperstolper ist auch vorgeprägt in dümmlichen Songtexten:
      „Ik wil alles met je delen,
      wil alles voor je zijn.
      En als jij me wilt vertrouwen,
      dan delen we de pijn.
      Samen met je janken,
      samen uit je bol.
      Samen door het lint gaan,
      niets is mij te dol. (Usw.)“

  4. Wirklich ein Saustall! Es geht ja schon bei den Kleinen los, mit „…Mami kann ich noch ein Eis?“, samt Zugabe vom Papi „… und ich ein Bier?“.
    2009 hatte ich französischen Besuch und – wie Sie anführen – dann auch mal ZDF laufen gehabt mit der erstaunten Frage meines deutschkundigen Freundes „Wer kann Kanzler WAS?“.
    Ausweichend fiel mir als Erklärung nur schnell ein, dass es politisch so was wie das Kanzlern gebe. Ein Modewort, am „Duden“ und auch an seinem „Larousse“ vorbeigemogelt.
    Wer hierzulande echt kanzlern konnte/kann, bleibt mir bislang verborgen, excusez …!

    • „hatte ich französischen Besuch und …dann auch mal ZDF laufen gehabt“ – erinnert sei an das Kapitel „Das Ultra-Perfekt“ aus „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ;-))

    • Excusez,
      aber das ist eben der hier übliche bairische Lapsus linguae, der sich leider oft einschleicht. Mich selber stört es ja auch, wenn der …. na ja aus der Verwandtschaft immer wieder betont „…. und dann hab‘ i z’eam g’sagt g’habt, was i wirkli g’moant g’habt hab“ (dt. …. dann sagte ich ihm, was ich wirklich meinte), oder „….sowos hab i no nia ned g’sehn g’habt“ (dt. ….sowas habe ich noch nie gesehen).
      Schrecklich – ich weiß.
      Aber: Ich kann Seehofer.

  5. Vor ein paar Tagen schüttelte ich nur den Kopf, als ich ein Prospekt eines hiesigen Möbelhauses in die Tonne kloppte, auf welchem in großen Lettern stand: „So geht Sofa.“
    Ich brauchte keines – Habemus Sofa!

  6. Hans-Jürgen Suß

    Ich bedauere schon seit längerem die vielen Schüler, die mühsam Deutsch lernen sollen u. dabei bemerken, daß außer ihrem Lehrer (oder Lehrerin) sich kaum jemand nach den Regeln richtet. Die Vorbildwirkung ist nur noch dafür zu verwenden, wie es nicht sein soll. Es ist nicht zu vermeiden, daß in einer Werbung der Name Fux auftaucht, weil der Eigentümer eben so heißt.
    Aber zum Wexeln eines Anbieters muß ich nicht aufgefordert werden.

  7. Wir in Ostwestfalen haben dafür nur ein Wort: Jau!

  8. Berthold Stevens

    Wir sind Papst – das fand ich gelungen. Als Schlagzeile der BILD wohlgemerkt. Aus dem Blickwinkel der Boulevardpresse schlicht genial. Gekonnte Neuschöpfungen, das Spielen mit der Sprache kann sehr anregend, unterhaltsam, auch sehr lehrreich sein (wie Sie, Herr Sick, bestätigen werden). Allerdings als Kür. Die Pflicht – den korrekten, verständlichen Umgang mit der deutschen Sprache – sollte jeder Schöpfer neuer, schräger Wendungen beherrschen. Wenn auch seriöse Medien die „Wer kann Kanzler“-Epidemie erfasst, ist das verwerflich. Aufgreifen können und sollten sie dies durchaus, aber einordnen, erklären – nicht einfach übernehmen. Sie müssen stets die Pflicht im Auge haben.
    Mein Arbeitgeber – der Auslandssender Deutsche Welle – ist da besonders in der Pflicht. Nicht nur im Deutschen, sondern in 30 Sprachen. Übrigens gibt es bei uns derzeit eine (sprachlich korrekte) Aktion für Toleranz und Vielfalt: „Wir sind Deutschland“. Wenn es um Menschenrechte geht, sollten wir päpstlicher als der Papst sein.

  9. „…und hier die Erläuterung in kurz“ = Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am vorletzten Sonntag.

  10. Sprache ist lebendig. Ich finde die Spielereien mit der Sprache großartig.
    Das Alles geht aber nur, wenn man die Sprache grundsätzlich richtig beherrscht und wie der Autor schreibt, die „seriösen“ Medien wenigstens korrekt bleiben.
    Aber selbst in den ARD und ZDF-Nachrichten wird es schon sehr flapsig.

  11. Vielen Dank, einmal mehr sprechen Sie ein grosses Wort gelassen aus. Stellt sich mir dennoch die Frage:“Wer kann deutsch?“
    Immer mehr verliert das ehemals so scharfe Schwert an Schlagkraft, wenn die Sprachverstümmelung so weitergeht.
    An das „ewige“ weil und denn Vertauschen hat man sich fast schon so gewöhnt, wie an das gerne belächelte wie und als.
    Hier behilft sich der Badener ja gerne mit „alswie“.
    Scheinbar wird es Zeit für das „weildenn“, oder um beim Thema zu bleiben: Wir sind Nichtdenksprecher !

    (Wer eventuelle Rechtschreipfehler findet, darf sie behalten!)

    Liebe Grüsse
    kawodi

    • Gut. kawodi, sehr gut! Auch hier in Bayern pflegt man das „als wie“ (gesprochen oiswia), sowohl bei der Steigerung als auch beim Vergleich. Somit kann man keine Fehler machen; es passt immer.
      Sprachbeispiele: (O-Ton) „I vadien mehra oiswia du.“ (Ich verdiene mehr als wie du.) „Du saafst oiswia’ra Ochs.“ (Dü säufst wie ein Ochse.) Host mi?

  12. Genauso befremdlich finde ich es, wenn bei TV-Fußballübertragungen (auch bei den Öffentlich-Rechtlichen) über einen Spieler gesagt wird: „…der findet ja heute überhaupt noch nicht statt.“

  13. Norbert Braumann

    „We are Family“ ist doch durchaus korrektes deutsch 😉
    Vor allem mit Family GROSZ geschrieben im Englischen …

  14. Norbert Braumann

    Apropos … Es (:-o) sagte die Schülerin: „Ich kann (gut) Englisch und ich kann auch Mathe“ … ohne Verb dazu … Englisch kann man schließlich auf vielfältigste Weise „können“. Yes, we scan 😛

  15. Daran arbeiten die Psychokonstrukteure schon: es wird uns suggeriert: ‚Wir sind Olympia.‘ Damit Betonkonstrukteure wieder Geschäfte machen wie zu Kaisers… und junge Leute auf Teufel komm raus versuchen, wie sie Doping vertuschen können.

  16. Harald Szuszkiewicz

    Danke für Ihre Kolumne, genau dieses Thema gehörte bereits in der Grundschule angesprochen bzw. klargestellt. Auch Österreichs Werbung kann ihr Scherflein zur Verdummung der Jugend beitragen: „Volksbank … mit V wie Vlügel“ (in erster Linie als gesprochener Text). Weiteres verbietungswürdiges Stummeldeutsch übernehmen wir auch gerne 1:1 aus dem Norden, wobei dazu zu sagen wäre, dass die ‚Bild‘ eigentlich nichts Neues erfunden hat sondern nur mit Verspätung wieder einmal etwas aus den USA eingedeutscht hat. Der Lied-Titel „We are Family“ von ‚Sister Sledge‘ aus dem Jahr 1978 ist vielleicht einigen bekannt.
    Ich persönlich denke mir dann immer den Satz zu Ende: So muss Technik ’nicht sein‘, Der kann Kanzler ’spielen‘, …

  17. …. muss es nicht heißen ‚Sprachverdümmelung‘? Und weiter ‚Dümmeldeutsch‘?

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